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Albino Pierro
Die Böden sind aus argilla, aus Lehm.
Wenn es trocken ist, sind sie hart und spröde, aber weich für
die Augen. Wenn es regnet, regnet es so stark, daß man nicht
hört, wie der ganze Boden, während er sich vollsaugt,
ein Konzert von sich gibt, das wir Menschen nur hören, wenn
wir das Ohr ganz daran legen und aus dem die Insekten, die
dort hausen, bestimmt die Zukunft lesen können. Wenn es länger
regnet wird es glitschig, für die Füße und für
die Reifen und manchmal auch für die Häuser, die dann
die calanchi, so werden die Schluchten genannt, herunterrutschen.
Deshalb wurden auch manche Dörfer verlassen. Andere einfach
weil die Straßen zu eng für die Liefer-wagen sind
jene werden dann ein Stück weit unterhalb neu gebaut.
Dort kommt Albino Pierro her, aus Lukanien, Basilikata, einer der
am dünnsten besiedelten Landschaften Italiens im Meridione
im Süden. Pierro schreibt auf Tursi-tanisch, das ist der Dialekt
seines Heimatortes Tursi mit arabischen Einflüssen und
griechischem Substrat, so wie die calanchi Einschlüsse
aus Muscheln der Urzeit haben. Wenn man genau hinschaut bestehen
sie aus diesen Muscheln.
Was für mich sehr auffällig war dort, daß es bis
zum Horizont Landschaften ohne Häuser gibt in Italien
mit seinen Kulturlandschaften unvorstellbar und wenn Häuser,
dann als Dorf auf einer Bergspitze. Ob in Sizilien oder in Südtirol,
bislang hatte ich keine Gegend außer den Naturschutzparks
gesehen, die nicht ganz von der Kultur der Menschen durchdrungen
ist, mit Eigentums-vorbehalt für jeden Früchte tragenden
Baum (in Sizilien trägt der dann auch eine Plastikflasche).
Zusammen mit Tobias Eisermann, dem Übersetzer, und dem jungen
Dichter Domenico Brancale, reiste ich eine Woche lang durch die
Gegend. Nach Aliano, wohin Carlo Levi zur Zeit Mussolinis hin verbannt
wurde, nach Matera, der in Tuffstein gebauten Stadt, die direkt
aus den Unsicht-baren Städten Calvinos entsprungen
sein könnte, und immer wieder nach Tursi, den Ort Pierros,
(so steht es schon auf allen Ortsschildern), der von den Zeiten
in drei geteilt wurde. Das mittelalterliche Dorf, die Rabatana
ganz verlassen, mit Ausnahme von zwei drei erhaltenen Häusern
oben auf der Bergspitze. Darunter am Hang das Dorf, in dem sich
nur zur Mittagszeit und nachts kaum etwas bewegt, und das neue Tursi,
mit seinen Beton-brücken und Plätzen, den neuen Siedlungen
und geraden Straßen.
Albino Pierro lebte bis vor 7 Jahren.
Die Landschaft Lukaniens, die voller Ölbäume steht und
im Sommer nach Paprika und Tomaten duftet hat seine Dichtung geprägt.
Pierro ist einer der großen Dichter des 20. Jahrhunderts in
Italien. In die großen Sprachen Europas wurden seine Arbeiten
bereits übertragen in fast alle, denn in diesem Künstlerbuch
erscheint die erste Übersetzung ins Deutsche. So können
wir von Glück sprechen, daß er nicht den Literaturnobelpreis
erhalten hat, für den er mehrmals im Gespräch war.Domenico
Brancale hat Pierros Dichtungen schon in einigen Peformances in
Deutschland gezeigt, zusammen mit Tobias Eisermann, dem Übersetzer.
Durch die Kraft der Sprache Brancales, der aus Lukanien kommt, wird
Pierros Sprache wirklich und auch für uns tastbar. Wir hoffen
im Jahr 2003, wenn eine kleine Libretto-Ausgabe erscheint, Sie zu
einer Performance in Hamburg, Berlin oder München einladen
zu können.
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